13.07.2015 – 16.07.2015

Viele Besucher von Sankt Petersburg kennen auch Pawlowsk, den kleinen Vorort mit dem klassizistischen Sommerschloss mit idyllischen Landschaftsgarten. Die wenigsten Besucher aber kennen das staatliche Kinderheim Nr. 4 ganz in der Nähe der Parkanlage, in dem etwa 330 Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen untergebracht sind.
Die Schwächsten unter ihnen leben in Haus 3 und 4. Für diese Kinder hält das russische Sozialsystem nur eine minimale Versorgung vor. Mangelhafte Ernährung, ausbleibende Förderung und fehlende Zuwendung führen zu starker Vereinsamung der Kinder und Unterentwicklung in allen körperlichen und geistigen Bereichen.
Da wir das Kinderheim in den letzten Jahren bereits zwei Mal unterstützt hatten und eine weitere Zusammenarbeit war, entschieden wir uns, eine Reise nach Sankt Petersburg zu organisieren. Am 13. Juli ging es für Prof. Alexander Ehlers und Irina Probst los.

Bereits am ersten Tag trafen wir uns mit der Direktorin der Kinderorganisation „Shag Navstrechu“, Evgenija Slav, um das Sommercamp des Kinderheims in der Nähe der Stadt Luga zu besuchen, welches von unserer Stiftung in diesem Jahr gefördert wurde. Nach 3 Stunden Fahrt mit der S-Bahn errichten wir das Dorf „Wanino Pole“. Hier waren 3 Häuser am Seeufer für insgesamt 12 Kinder und 20 Erwachsene (Pädagogen, Freiwillige, Physiotherapeut, Arttherapeut, Musiklehrer) gemietet worden. Die Kinder wurden nach ihrem individuellen Gesundheitszustand ausgewählt und für jedes Kind wurde dabei ein pädagogischer Plan entwickelt, der während der Ferien dann umgesetzt wurde. Außerdem organisierten die ausgebildeten und spezialisierten Sozialpädagogen und freiwilligen Betreuer, welche die Kinder begleitet hatten, viele verschiedene Freizeitprogrammpunkte mit Aktivitäten wie Schwimmen oder Wandern. Die Kinder wurden mit mehreren Mahlzeiten am Tag versorgt.
Wir waren beeindruckt vom steten Einsatz der Mitarbeiter und Praktikanten. Immer wieder wurde in den Gesprächen deutlich, wozu die Schwächen im Gesundheitssystem, die mangelhafte Schwangerenbetreuung und die unzureichende Qualität in der Versorgung führen.
Die Kinder waren überglücklich!!! Und für uns ist klar, dass das Geld an der richtigen Stelle angekommen ist!!!

Am Abend hatten wir einen Termin mit Frau Marina Manevskaya (Mitglied Direktorenrat „Perspektivy“) und Frau Anna Udjarova (Juristin, „Perspektivy“). Das Thema war die aktuelle Situation und der Umgang mit behinderten Kindern in Russland, Probleme und Herausforderungen des russischen Systems.
Mit den Vertretern der beiden von der Paul Nikolai Ehlers-Stiftung unterstützten Kinderorganisationen, Shag Navstrechu und Perspektivy, besuchten wir am nächsten Tag die Häuser 3 und 4 des Kinder- und Waisenheimes in Pawlowsk. Wir waren erschüttert von den Zuständen, Rahmenbedingungen und der Personalausstattung. Ein ernüchterndes Beispiel: Um acht Kinder der „liegenden Gruppe“, welche alle nicht laufen können und auf Gummimatten in ihren Betten liegen, kümmert sich nur eine Sanitarka. Die Sanitarkas sind meist Rentnerinnen, die durch ihre Arbeit in Heimen ihre bescheidenen Pensionen aufbessern müssen. Sie arbeiten in 24-Stunden-Schichten, sind schlecht bezahlt, nicht ausgebildet und mit acht behinderten Kindern völlig überfordert. Oft bleibt keine Zeit, um die Kinder auch nur einmal in der Woche zu baden.
Es gibt keinen Lift und keine behindertengerechte Bademöglichkeiten, eine weiteres Beispiel für den Mangel ist der Notausgang, welcher im zweiten Stock des Hauses 4 von Kinderorganisationen nur provisorisch gebaut wurde.
Dabei ist diese Situation keine Folge von mangelhafter finanzieller Möglichkeiten, sondern die Konsequenz mangelhafter Eltern- resp. Mütterberatung, zu laxer Voraussetzungen für das “Abschieben” nicht gewünschter Kinder, fehlerhafter finanzieller Anreiz für die Heimbetreiber, die Kinder im Heim zu behalten, mangelhafte Reintegration der Kinder in Familien und der Gesellschaft oder auch unzureichender ärztlicher, pflegerischer und pädagogischer Betreuung. Ohne die Kinderorganisationen wäre die Situation noch viel schlechter.
Inzwischen werden Kinder täglich von russischen und deutschen freiwilligen Helfern begleitet. Nach dem Motto „Pflegen, Spielen, Fördern“ leben diese Helfer einen anderen Umgang mit den Kindern vor, der bei vielen Heimmitarbeitern heute Zustimmung findet. Zudem gibt es eine Reihe therapeutischer und pädagogischer Angebote: In einem Kindergarten, einer Schule und in Einzelförderung geben ausgebildete russische Physiotherapeuten, Pädagogen und Psychologen den Kindern Gelegenheit zum Bewegen, Spielen, Kommunizieren und Lernen. Die Freude an den wachsenden eigenen Fähigkeiten lässt die Kinder selbstbewusster und fröhlicher werden.

Den Mitarbeitern und Freiwilligen von Shag Navstrechu und Perspektivy gilt mehr als ein riesiges Lob. Sie setzen sich in unglaublicher Weise für die Kinder ein. DANKE!

Nach drei Tagen waren wir wieder in Deutschland. Es war eine sehr wichtige und beeindruckende Reise: wir haben viel gesehen, erlebt, diskutiert und erfahren. Wir freuen uns schon auf unsere weitere Zusammenarbeit. Und eine große Bitte: Macht weiter so!

Danke